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Berthold Busch IW-Kurzbericht Nr. 58 31. August 2021 Europäische Union: Nicht nur Saldenmechanik

Nettopositionen der Mitgliedstaaten gegenüber dem Haushalt der Europäischen Union (EU) können auf verschiedene Weise berechnet werden. Die Europäische Kommission weist mit dem Berichtsjahr 2020 die von ihr ermittelten Werte nicht mehr aus. Das kann zu Missverständnissen führen.

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Nicht nur Saldenmechanik
Berthold Busch IW-Kurzbericht Nr. 58 31. August 2021

Europäische Union: Nicht nur Saldenmechanik

Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Nettopositionen der Mitgliedstaaten gegenüber dem Haushalt der Europäischen Union (EU) können auf verschiedene Weise berechnet werden. Die Europäische Kommission weist mit dem Berichtsjahr 2020 die von ihr ermittelten Werte nicht mehr aus. Das kann zu Missverständnissen führen.

Die Europäische Kommission veröffentlicht im Jahres­rhythmus im Internet schon seit vielen Jahren eine Übersicht über die erzielten Einnahmen und getätigten Ausgaben des EU-Haushalts (Europäische Kommission, 2021). Bis einschließlich 2019 hat sie in ihren Tableaus für jeden Mitgliedstaat auch den Saldo aus Beiträgen zum und Rückflüssen aus dem EU-Haushalt ausgewiesen, sowohl in absoluten Eurobeträgen als auch in Prozent vom jeweiligen Bruttonationaleinkommen (BNE). In der Veröffentlichung für das Jahr 2020 fehlen nun diese Zusatzangaben, die Nettoposition eines Mitgliedstaates wird nicht mehr ausgewiesen. Dies führte dazu, dass für das Jahr 2020 unterschiedliche Nettopositionen berichtet werden. Während dpa-afx für Deutschland für das Jahr 2020 einen Nettobeitrag von 19,4 Milliarden Euro nennt (Börsen-Zeitung, 2021), sind es im Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ, 2021) rund 15,5 Milliarden Euro.

Aus dem Tableau, das die Europäische Kommission veröffentlicht hat, lassen sich beide Zahlen errechnen. Saldiert man von den gesamten Beiträgen Deutschlands in Höhe von 31,9 Milliarden Euro die Rückflüsse aus dem EU-Haushalt, die nach Deutschland geflossen sind, erhält man einen Betrag von 19,4 Milliarden Euro.

Die Kommission hat bei den von ihr bis 2019 veröffentlichten Salden anders gerechnet, weil sie sich an der Methode zur Kalkulation des sogenannten Britenrabatts orientiert hat. So werden die Verwaltungsausgaben nicht berücksichtigt, die vor allem in Belgien (2020: 5,1 Milliarden Euro) und in Luxemburg (2020: 1,7 Milliarden Euro) anfallen. Die Kommission begründet das damit, dass diese Ausgaben zwar in einzelne Staaten fließen, aber allen Mitgliedstaaten zugutekommen, also nicht national zurechenbar sind. Nicht einbezogen werden ferner die Ausgaben in Drittländern in Höhe von 11,8 Milliarden Euro sowie einige weitere Positionen, die nicht einzelnen Mitgliedstaaten zugerechnet werden können, zum Beispiel große Infrastrukturprojekte. Berechnungsgrundlage sind damit die zurechenbaren operativen Ausgaben, die für das Jahr 2020 mit 138,8 Milliarden Euro beziffert werden, das sind 80 Prozent der gesamten Ausgaben in jenem Jahr.

Auf der Einnahmenseite werden die Zolleinnahmen nicht berücksichtigt, die die Mitgliedstaaten zwar erhe­ben, aber als originäre Eigenmittel an die EU abführen – nach Abzug einer Erhebungskostenpauschale, die 2020 bei 20 Prozent lag. Der Grund hierfür ist, dass in ei­ner Zollunion die Waren, die aus Drittländern eingeführt werden, nicht notwendigerweise in dem Land verbleiben, das den Zoll erhebt. Für die Saldenberechnung werden daher nur die nationalen Beiträge zum EU-Haushalt, also die sogenannten Mehrwertsteuer-Eigenmittel und die Eigenmittel auf der Grundlage des BNE herangezogen. Deutschland zahlte für die beiden Positionen im Jahr 2020 zusammen 28,1 Milliarden Euro.

Den deutschen Nettobeitrag von 15,5 Milliarden Euro zum EU-Haushalt erhält man, wenn die zurechenbaren Rückflüsse nach Deutschland in Höhe von 12,3 Milliarden Euro mit seinem angepassten nationalen Beitrag in Höhe von 27,8 Milliarden Euro, der ebenfalls berechnet wird, saldiert werden. Zweitgrößter Nettozahler nach dieser Rechnung war 2020 das Vereinigte Königreich mit 10,2 Milliarden Euro, das inzwischen aus der EU ausgetreten ist und auch am Binnenmarkt nicht mehr teilnimmt. Danach folgt Frankreich mit 8 Milliarden Euro vor Italien mit 4,8 Milliarden Euro (Tabelle).

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Aussagefähiger als die absoluten Zahlen sind die Salden in Prozent des BNE. Deutschland kommt hier auf –0,45 Prozent und das Vereinigte Königreich auf –0,44 Prozent. Auf Platz 3 folgt Dänemark (–0,41 Prozent) vor den Niederlanden (–0,40) und Schweden (–0,39 Prozent), also Länder, die bei den Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 engagiert für die Begrenzung der Ausgaben gestritten haben und zusammen mit Österreich und Finnland als „frugal five“ bezeichnet wurden, was kürzlich mit „vernünftige Fünf“ (Fricke, 2021) übersetzt wurde.

Größter Nettoempfänger in absoluten Zahlen war 2020 Polen mit 13,2 Milliarden Euro, an zweiter Stelle folgte Griechenland mit 5,7 Milliarden Euro vor Rumänien mit 4,9 Milliarden Euro und Ungarn mit 4,8 Milliarden Euro. Relativ, also wiederum bezogen auf das BNE, war 2020 Litauen der größte Nettoempfänger mit 4,53 Prozent vor Kroatien mit 4,41 Prozent und Ungarn mit 3,62 Prozent des BNE.

Die Saldierung aller nationalen Zahlungen mit allen Rückflüssen ist sicherlich die einfachste Methode. Sie ist jedoch nicht für alle Betrachtungsweisen angebracht. Für die Methode der Kommission spricht, dass Zolleinnahmen in einer Zollunion nicht national zugerechnet werden können und Ausgaben der EU für Drittländer nationale Aufwendungen ersetzen können. Bei einer Betrachtung der Umverteilungswirkung des EU-Haushalts zwischen den Mitgliedstaaten spricht viel für die Berechnungsmethode der Europäischen Kommission. Es ist daher fraglich, ob die Kommission gut daran getan hat, auf die Veröffentlichung der von ihr berechneten Nettopositionen zu verzichten, so wie sie es schon im Reflexionspapier angedeutet hatte (Europäische Kommission, 2017, 30).

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